Gemeinsame Stellungnahme des Netzwerkes Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung im VPU sowie des Verbandes der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. (VPU)
Am 31. März 2021 teilte die Philosophisch-Theologische Hochschule in Vallendar (PTHV) in ihrer Pressemitteilung mit, die Fakultät für Pflegewissenschaft aus wirtschaftlichen Gründen stillzulegen. Ursprünglich sollte die Fakultät als verkleinerter Teil der Humanwissenschaften weitergeführt werden, jedoch seien die Studierendenzahlen an der PTHV rückläufig und somit die Nachfrage zu gering. Seitens der Gemeinschaft der Pallottiner sei ein weiterer Grund zur Stilllegung, neben dem wirtschaftlichen Aspekt, dass sich die Hoffnung zur Erfüllung der Akademisierung der Pflege in Deutschland im nötigen Maße bislang nicht erfüllt habe.
Der Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. und dessen Netzwerk Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung als Vertreter der Pflege an nationalen Universitätskliniken teilt diese Einschätzung nicht. Die hochschulische Qualifikation der Pflegenden ist eine notwendige Antwort auf die wachsenden Anforderungen einer modernen, wissensbasierten und innovativen pflegerischen Versorgung und dieses nicht nur im Umfeld der klinischen Maximalversorgung an Universitätskliniken.
Die Relevanz der hochschulischen Qualifikation zur Sicherstellung der Patientenversorgung und Senkung der Mortalität sowie als zentraler Bestandteil des Professionalisierungsprozesses Pflege ist seit Jahren weltweit unumstritten. Internationale Studien und entsprechende akademische Qualifikationsstandards zeigen deutlich, dass eine hochschulische Pflegequalifikation positive Auswirkungen auf Ergebnisse der Gesundheitsversorgung, die interdisziplinäre Zusammenarbeit, Arbeitszufriedenheit wie auch notwendige Berufsattraktivität hat, und letztendlich auch ein unverzichtbarer Motor für Neuerungen und Weiterentwicklungen ist. Dem Wegfall einer pflegewissenschaftlichen Fakultät, die zudem auch eine Promotionsmöglichkeit für den zwingend notwendigen wissenschaftlichen Nachwuchs bietet, sieht der VPU und das Netzwerk Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung deshalb mit großer Sorge entgegen.
Die Transition der nationalen Pflegebildung zur hochschulischen Qualifikation nicht aktiv und attraktiv zu gestalten, gefährdet die Qualität wie auch Entwicklungsfähigkeit der Gesundheitsversorgung und die internationale Anschlussfähigkeit.
Dass die Gestaltung entsprechender Rahmenbedingungen möglich ist, zeigt die Überführung der Hebammenausbildung in das duale Hebammenstudium mit dem Hebammenreformgesetz. Insbesondere durch die einheitliche und komplette Überführung der Hebammenqualifikation erfährt der Aufbau von hebammenwissenschaftlichen Studiengängen derzeit deutliche politische Unterstützung, inklusive einer zum Teil großzügigen Refinanzierung.
Trotz der gesetzlichen Verankerung der hochschulischen Primärqualifizierung stellt sich dies für Pflege eklatant anders dar: primärqualifizierende Pflegestudiengänge stehen ohne Vergütung der Praxiseinsätze, Gegenfinanzierung der Praxisanleitung und unzureichender Finanzausstattung in einer herausfordernden Konkurrenzlage mit alternativen Qualifikationswegen. Dies führt, wie aktuelle Entwicklungen zeigen, zu einem deutlichen Rückgang der angebotenen bzw. besetzten Pflegestudienplätze [1]. Diese Rahmenbedingungen gefährden die weitere notwendige Akademisierung des Pflegeberufs in Deutschland. Die Antwort auf diese Entwicklung darf aus Sicht des VPU und des Netzwerkes Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung keinesfalls der Rückbau von etablierten akademischen Qualifikationsmöglichkeiten für Pflegende sein, sondern erfordert eine breitere und verlässliche nationale Aufstellung. Die Fakultät für Pflegewissenschaft der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar ist eine dieser etablierten Strukturen in Deutschland, die Pflegefachpersonen die Möglichkeit bietet, alle akademischen Qualifikationsstufen bis zum Doktorat zu erreichen. Diese Möglichkeit muss aus Sicht des VPU und des Netzwerkes Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung dringend an mehr staatlichen Fakultäten etabliert werden.
Pflegende sind zu Spitzenleistungen in Forschung, Lehre und Patientenversorgung in der Lage. Die notwendige Transition der Pflegelandschaft an internationale hochschulische Standards braucht Weitsicht, Durchhaltevermögen und zudem fördernde Rahmenbedingungen. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen und Argumentationsketten, so stellt sich hier zu Lande aber die Frage, ob die Akademisierung und die damit einhergehende Professionalisierung der Pflege wirklich gewollt ist.
Um die Professionalisierung und die damit verbundene hochschulische wie auch universitäre Pflegeausbildung weiter vollumfänglich und realistisch voranzutreiben sowie den Pflegeberuf für die Absolventen zu einem lohnenswerten und chancenreichen Beruf zu entwickeln, ergibt sich aus der Perspektive des VPU und des Netzwerkes Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung zu folgenden Punkten weiterhin [2] dringender Handlungsbedarf:
- Konsequente Förderung und Ausbau der hochschulischen Qualifikation für Pflegende
Der vom Wissenschaftsrat geforderte und in Deutschland eingeschlagene Weg der anteiligen hochschulischen Qualifikation für Pflegende ist mit Nachdruck und Konsequenz weiter zu verfolgen. Die komplette Umstellung wie sie für die Hebammen in Deutschland oder die Pflegenden in Österreich verabschiedet worden ist, sollte uns Mut machen größere Schritte für Pflegende zu wagen. Hier bedarf es reeller Chancen junge Menschen für ein Pflegestudium durch tragende Rahmenbedingungen zu begeistern. - Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen
Ein Mehr an Bildung gelingt nur mit ausreichenden finanziellen Mitteln. Dies umfasst sowohl die Finanzierung zum Aufbau und Betrieb von dringend benötigten Pflegestudiengängen wie auch die Gegenfinanzierung der Praxisanleitung und einer Vergütung der Praxiseinsätze für die Studierenden. Die Umsetzung mit dem Hebammenreformgesetz kann hierzu als Orientierung dienen. - Pflegestudiengänge an allen Universitäten mit Universitätskliniken
Universitätskliniken bieten mit ihrem Auftrag in Forschung, Lehre und Patientenversorgung ideale Voraussetzung zur Qualifikation wie auch zur inhaltlichen Weiterentwicklung aller Gesundheitsfachberufe. Dieses Potenzial gilt es mit Pflegestudiengängen und der Einrichtung von Professuren an allen Universitäten mit Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen für Deutschland umzusetzen, um damit die erforderliche Akademisierung Pflegender nachhaltig und zukunftssicher auf eine breite Basis zu stellen. Die möglichen Synergien und Qualitätspotenziale einer gemeinsamen Qualifikation unterschiedlicher Gesundheitsfachberufe im Sinne eines Gesundheitscampus sollten auch in Deutschland eine stärkere Rolle spielen.
Die Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren sowie Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen in Deutschland stehen zur Professionalisierung und der damit einhergehender dringend notwendiger Akademisierung der Pflegenden. Ohne eine breite und nachhaltige politische Gestaltung von förderlichen Rahmenbedingungen wird der Anschluss an internationale Standards nicht gelingen. Dies gefährdet die bestmögliche Patienten- und Angehörigenversorgung wie auch Innovation, Weiterentwicklung und pflegerische Berufsattraktivität im deutschen Gesundheitswesen. Der VPU und das Netzwerk Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung fordert deshalb von allen Entscheidungsträgern die notwendigen Maßnahmen für die Weiterführung der pflegerischen Professionalisierung und Akademisierung dringend zu unterstützen.
[1] Gemeinsames Statement: DGP und DPR zur Situation der primärqualifizierenden Pflegestudiengänge an den deutschen Hochschulen vom 30.03.2021 (https://dg-pflegewissenschaft.de/aktuelles/gemeinsames-statement-dgp-und-dpr-zur-situation-der-primaerqualifizierenden-pflegestudiengaenge-an-den-deutschen-hochschulen/)
[2] Gemeinsame Stellungnahme: Pflege ist systemrelevant – nicht nur in Corona-Zeiten vom 12.05.2020 (www.vpuonline.de/.cm4all/uproc.php/0/05-06-
2020_Gemeinsame%20Stellungnahme%20zum%20internationalen%20Jahr%20der%20Pflegenden%20und%20 Hebammen.pdf?cdp=a&_=1731f9fd7e0)