Ein gemeinsames Positionspapier des Verbandes der PflegedirektorInnen der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands (VPU e.V.), des Netzwerks Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung im VPU e.V., des Deutschen Pflegerates e.V., der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V., der Bundes-Dekanekonferenz Pflegewissenschaft e.V., dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe e.V., der European Academy of Nursing Science und des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (Fachbereich Gesundheitsfachberufe).
Die wachsenden Anforderungen der pflegerischen Versorgung in allen Settings wie auch die notwendige Steigerung der Berufsattraktivität erfordern dringend umfassende hochschulische Qualifizierungsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen. Mit dem Pflegestudium wird die Qualifizierung zur Pflegefachperson zeitgemäß und attraktiv – wissenschaftliche Ergebnisse und Herangehensweisen wie auch pflegepraktisches Handeln werden dabei gleichermaßen vermittelt. Universitätsmedizinstandorte bieten in der Zusammenarbeit mit Universitätskliniken hierzu etablierte Verknüpfungen von Forschung, Lehre, Krankenversorgung sowie institutsübergreifenden System- und Zukunftsaufgaben [1].
Im Gegensatz zu der Vollakademisierung des Hebammenberufs und dem zeitgemäßen internationalen Standard ist hierzulande das Eintrittskriterium in den Beruf der Pflegefachperson die fachschulische und berufspraktische Ausbildung. Gemäß dem Pflegeberufegesetz ist nun auch das Hochschulstudium eine regelhafte Option, den Berufsabschluss zu erlangen. Die zahlenmäßig immer noch wenigen Pflegestudiengänge stehen vielerorts vor der Herausforderung der Finanzierung des Lehrbetriebes und der Professuren in dem kompetitiven Umfeld der Hochschulen und Universitäten, die zumeist als kleines Fach auch die Pflegewissenschaft eingerichtet haben. Die fehlende Vergütung der Praxiszeiten führt zu einem deutlichen Wettbewerbsnachteil und damit geringen Auslastungsquoten gegenüber der Pflegeausbildung. Nach wie vor fehlt eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung der Entlohnung von Vergütungen der Praxiseinsätze bei Pflegestudierenden wie auch der Finanzierung der Praxisanleitung. Die hochschulische Pflegeausbildung in Deutschland ist darum massiv gefährdet.
Medizinische Spitzenversorgung an Universitätskliniken erfordert hochschulisch qualifizierte Pflegefachpersonen
Die Universitätskliniken und Medizinische Hochschulen spüren den derzeitigen rasanten gesellschaftlichen Wandel hautnah. Immer schneller auftretende Veränderungen und Herausforderungen, etwa durch den demografischen Wandel, zunehmende soziale Aufspaltungen, Migrationsbewegungen oder durch den Klimawandel global auftretende Gesundheitsgefahren erfordern eine hohe Flexibilität, Problemlösungs- und Lernbereitschaft. Für das Berufsfeld Pflege bedeutet das, in einem System Problemlösungs- und Lernbereitschaft. Für das Berufsfeld Pflege bedeutet das, in einem System zuarbeiten, dessen Prozesse zunehmend verdichtet und komplexer werden und dessen Abläufe sich ständig beschleunigen [2]. Die hierfür notwendigen Kompetenzen sind Expertise in klinischer Entscheidungsfindung, reflexives Handeln, Kreativität und Innovationskraft sowie die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (ebd.) und erfordern somit ein Bildungsniveau mindestens nach EQR 6 (Bachelor) für Pflegefachpersonen. Die allgemeine Überforderung der Pflegefachpersonen, die sich derzeit in vielerlei Unmutsbekundungen, Überlastungsanzeigen, Abwandern aus dem Beruf, Fortbildungsmüdigkeit und anderes mehr verdeutlicht, hat nicht zuletzt ihre Ursache in einer Aus- und Weiterbildung, mit der diese Kompetenzen nicht umfassend erreicht werden können. Universitätskliniken und Medizinische Hochschulen stellen eine gesundheitliche Versorgung auf dem Niveau der Hochleistungsmedizin sicher. In hochspezialisierten Zentren werden Patienten mit schwersten sowie seltenen Erkrankungen und kritischen Krankheitsverläufen betreut. In der Kooperation mit den Medizinischen Fakultäten der Universitäten beteiligen sich Universitätskliniken gemäß gesetzlichem Auftrag über die (vor allem medizinische) Krankenversorgung hinaus an Forschung, Lehre sowie institutionsübergreifenden System- und Zukunftsaufgaben. Analog zur Medizin ist Pflege an Universitätskliniken [3] und Medizinischen Hochschulen in diesem Vierklang als wichtiger Akteur zu sehen [1], deren hochschulische Ausbildung und Studium jedoch immer noch mehrheitlich außerhalb der Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten stattfindet. International sind Universitätskliniken neben Hochschulen und weiteren Universitätsstandorten der Pflegewissenschaft für die Pflegeprofession zentrale Orte der forschungsbasierten Weiterentwicklung, der hochschulischen Lehre und der hochschulisch qualifizierten direkten pflegerischen Versorgung. In diesen Strukturen liegen auch für das deutsche Gesundheitswesen und den Wissenschaftsstandort große Chancen. Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2012 [4] ist eine Akademisierungsquote der Pflege von 10-20 Prozent als erstes Zielintervall angegeben (das Institute of Medicine, USA, empfiehlt eine Akademisierungsquote von 80 Prozent! [5]). Deutsche Universitätskliniken sind von dieser Quote mit einem Anteil von zwei Prozent an hochschulisch qualifizierten Pflegefachpersonen in der Krankenversorgung [6] und national bisher lediglich neun klinischen Pflege-/Pflegewissenschaftsstudiengänge an sieben Universitätsmedizinstandorten mit Universitätskliniken noch weit entfernt. Die zwei wesentlichen Ziele der Akademisierung der Pflege sind:
1. Die Verbesserung der Versorgungsqualität von Patienten und ihren Angehörigen.
2. Ausbau beruflicher Karrierewege und somit die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes.
zu 1.
Angesichts der schnellen Weiterentwicklung und Spezialisierung von medizinischem und pflegerischem Wissen und der zunehmenden Komplexität von pflegerischen Versorgungsaufträgen, wie es sich in allen Pflegesettings von Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen über die stationäre Langzeitpflege bis in die ambulante Versorgung zeigt, sind hochschulische Qualifizierungen der Pflege erforderlich. Die Fähigkeit, sich aktuelles, wissenschaftlich gesichertes Wissen anzueignen, kritisch zu reflektieren und in die Praxis zu transferieren, spielt dabei eine zentrale Rolle. Internationale Erfahrungen zeigen, dass durch hochschulische Qualifizierungen in der Pflege Innovationen und Anpassungen der Versorgungsstruktur angestoßen werden und diese wiederum zu besseren Ergebnissen in der Krankenversorgung, wie z. B. Infektions- oder Mortalitätsraten, führen [7-12]. In allen Settings der Gesundheitsversorgung zeigt sich ein wachsender Bedarf an Pflegefachpersonen, die Innovationskraft, Lösungskompetenz und Verantwortungsbereitschaft mitbringen.
zu 2.
In Deutschland steht dem Arbeitsmarkt schon seit längerer Zeit eine begrenzte Anzahl an Pflegefachpersonen zur Verfügung. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, das Berufsbild Pflege aufzuwerten und Patientenergebnisse zu verbessern, werden alle Qualifizierungs- und Zugangswege für die Pflege benötigt. Im Kontext sich verändernder Ausbildungswege (viele Ausbildungsberufe satteln auf duale Studiengänge um) muss die Pflege wettbewerbsfähig bleiben. Für Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung (2020 in Deutschland: 46,8 % [13] können hochschulische Qualifizierungswege in der Pflege ein Anreiz sein und es somit ermöglichen, Personen für diesen Beruf zu gewinnen, die sich sonst nicht für den Pflegeberuf entscheiden würden (oder ggf. später in ein Medizinstudium wechseln). Auf diese Weise konnten andere systemrelevante Berufe, wie die Polizei, bereits deutlich mehr Auszubildende gewinnen. Universitätskliniken bieten neben Hochschulen durch die enge Verknüpfung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung für Pflegestudiengänge ideale Voraussetzungen für den Aufbau von Pflegestudiengängen und die direkte Übertragung neuer Erkenntnisse in die Krankenversorgung. Gleichzeitig bieten die möglichen Verschränkungen mit weiteren Studiengängen der Gesundheitsfachberufe wie Medizin oder Hebammenwesen (z. B. als Gesundheitscampus) Synergien, die über interprofessionelle Lehrangebote auch die notwendige kooperative Krankenversorgung im Praxisfeld stärken. Universitätsmedizin- und damit auch Pflegestandorte ermöglichen über die Qualifikationen Bachelor, Master, Promotion und Habilitation Optionen für pflegepraktische und pflegewissenschaftliche Karrieren. Nicht zuletzt wird an Universitäten auch der akademische Lehrnachwuchs für die Hochschulen und Universitätsstandorte der Pflegewissenschaft qualifiziert.
Notwendige Forschungsstrukturen der Pflegeprofession
Pflegewissenschaftliche Professuren und entsprechende Forschungsstrukturen an jedem Universitätsmedizin- und Pflegestandort/Universitätsklinik sind Voraussetzungen für eine flächendeckende forschungsbasierte Weiterentwicklung der Gesundheits- und Krankenversorgung.
Das Pflegeberufegesetz (PflBG) [14] und der ICN-Ethik-Kodex [15] verpflichten Pflegefachpersonen, ihr berufliches Handeln an dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse auszurichten. Die dazu notwendige Pflegeforschung hat ohne universitäre Standorte kaum eine Chance. Die SARS-CoV-2-Pandemie unterstreicht sehr eindrücklich, wie wichtig eine wissenschaftsfundierte Herangehensweise bei der Krankenversorgung ist. Dieser Anspruch gilt für alle Gesundheitsprofessionen gleichermaßen; für die klinische Pflegeforschung fehlen in Deutschland aber entsprechende Strukturen – gerade an Universitäten/Universitätskliniken. Für die Pflegeprofession ist es strukturell somit kaum möglich, sich auf Forschungsprogramme, Grundlagenforschung, Nachwuchsgruppen und in Konsequenz auch internationale Forschungsförderung zu bewerben. Exemplarisch kann hier das „Netzwerk Universitätsmedizin (NUM)“ genannt werden, in dessen Bewerbungsrichtlinien die Anforderungen so komplex und hoch waren/sind, dass die derzeitige Pflegeforschung in Deutschland hierbei faktisch ausgeschlossen wird. Viele Fragen der medizinischen Versorgung sind aber gleichzeitig auch Fragen der pflegerischen Versorgung. Aktuell findet diese Forschung weitestgehend ohne Beteiligung der deutschen Pflegewissenschaft statt. Universitätskliniken und Medizinische Hochschulen bleiben dringlich auch für die deutsche Pflegeprofession zu Orten wissenschaftlichen Fortschritts und Innovation weiterzuentwickeln.
Finanzierung der hochschulischen Pflegeausbildung
Die Etablierung von Pflegestudiengängen an Universitätsmedizin- und damit auch Pflegestandorten gelingt nur mit einer Refinanzierung der hochschulischen Lehre und Praxisanleitung.
Analog zur Finanzierung der hochschulischen Hebammenausbildung sollten auch für die hochschulische Pflegeausbildung entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden. Dies betrifft auch die Refinanzierung der hochschulischen Lehre und der Praxisanleitung in den jeweiligen Versorgungssettings, welche derzeit durch Landesmittel nicht abgedeckt ist. Die Etablierung einer gesellschaftlich relevanten Wissenschaftsdisziplin in Konkurrenz zu anderen bestehenden Disziplinen ist ohne zusätzliche Finanzmittel und damit auch Planungssicherheit nahezu ausgeschlossen.
Notwendige Vergütung der Praxiseinsätze auch für Pflegestudiengänge
Die Unterzeichnenden fordern daher von der Bundesregierung (hier insbesondere gemeint sind das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Gesundheit), auf eine zeitnahe Umsetzung der bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarten Schließung der Lücke bei der Vergütung der Praxiseinsätze für Pflegestudierende analog zum Hebammenreformgesetz hinzuwirken. Die Vergütung muss in gleicher Höhe liegen, wie sie Auszubildende zur Pflegefachperson und die Studierenden eines Hebammenstudiums erhalten. Die aktuelle Parallelität des berufspraktischen Ausbildungswegs (mit Ausbildungsvergütung) und des hochschulischen Ausbildungswegs (ohne Ausbildungsvergütung) führt zu einem deutlichen Attraktivitäts- und damit Bewerberverlust für die Pflegestudiengänge. Dieses Missverhältnis gefährdet die nachhaltige Entwicklung der Pflegewissenschaft wie auch die Erhöhung des Anteils hochschulisch qualifizierter Pflegefachpersonen und somit schlussendlich die Weiterentwicklung einer qualitativ hochwertigen, evidenzbasierten Pflegepraxis in Deutschland.
Skizzierung einer hochschulischen Pflegebildungslandschaft – Pflegewissenschaftliche Lehrstühle an allen Hochschulmedizin- und Pflegestandorten/Universitätskliniken
In Anlehnung an internationale Standards und basierend auf dem PflBG setzen sich die Unterzeichnenden für die Weiterentwicklung hochschulischer Qualifizierungsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen auch an allen Universitätsmedizin- und Pflegestandorten in Deutschland ein. Neben Hochschulen und weiteren Universitätsstandorten der Pflegewissenschaft sind auch Universitäten mit ihren Universitätskliniken für die Pflege weltweit zentrale Orte der Qualifizierung des notwendigen pflegewissenschaftlichen Forschungs- und Lehrnachwuchses. Darüber hinaus bieten sie mit der Ausbildung von Medizinern und weiteren Gesundheitsfachberufen der Pflegequalifizierung Rahmenbedingungen mit gemeinsamen interprofessionellen Lehreangeboten (IPE) wie auch gemeinsame klinische Praxiserfahrungen [16, 17]. Nur so kann langfristig der Bedarf an akademisch ausgebildetem Pflegefachpersonal sichergestellt und die Disziplin Pflege auf ein Niveau gebracht werden, das international anschlussfähig ist. Dies ist erforderlich, um eine angemessene pflegerische und interprofessionelle Versorgung der Gesellschaft heute und in Zukunft sicherzustellen. Das Angebot an Pflegestudiengängen mit unterschiedlichen Professuren der Pflege an jedem Universitätsmedizin- und Pflegestandort/Universitätsklinik in Deutschland sollte sich demnach wie folgt aufgliedern:
- Primärqualifizierende Bachelor-Pflegestudiengänge (EQR 6) zur Qualifikation von “Pflegefachfrauen/Pflegefachmännern”
- Master-Pflegestudiengänge (EQR 7) mit fachlicher Schwerpunktsetzung und Spezialisierungsmöglichkeiten an unterschiedlichen Lehrstühlen. Die bislang geläufigen Weiterbildungen können inkludiert werden. Spezialisierte Masterstudiengänge können z.B. sein:
Critical Care
Psychiatrische Pflege
Onkologische Pflege
Pädiatrische Pflege
Global oder Community Health
Angewandte Pflegeinformatik
Pflegetechnik und Robotik
Notfallpflege
Geriatrische Pflege
Klinische Pflegeexpertise/APN
Pflegewissenschaft
Transplantationspflege
…. - Promotionsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen (EQR 8)
- Habilitationsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen
Die unterschiedlichen Qualifikationen gliedern sich in der gesamten Breite in die Pflegepraxis ein und ermöglichen weiterführende Vertiefungen und Spezialisierungen auf Basis von Bachelor-, Master oder höherwertigen Studienabschlüssen auch in Pflegelehre, Pflegeforschung und Pflegemanagement (siehe Abbildung 1).
Fazit
Die Unterzeichnenden dieses Positionspapiers setzen sich für eine hochwertige Patienten- und Angehörigenversorgung wie auch gute Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen ein, welche durch eine notwendige hochschulische Pflegequalifikation in Analogie zu internationalen Standards getragen wird. Die bestmögliche Ausbildung durch ein Studium ist notwendig, da die Anforderungen an Pflegefachpersonen in allen Bereichen ständig steigen. Nur dies gewährleistet auch zukünftig eine hohe Qualität und innovative Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung in Deutschland. Damit die nachhaltige Implementierung von Pflegestudiengängen gelingt, braucht es entsprechende politische und finanzielle Rahmenbedingungen, die das Pflegestudium dem Hebammenstudium gleichstellen. Analog zur Medizin werden auch an allen Universitätsmedizin- und Pflegestandorten in Deutschland Pflegestudiengänge gefordert.
Die Unterzeichnenden setzen sich für die Umsetzung folgender Forderungen ein:
- Vergütung der Praxiseinsätze für Pflegestudierende analog zur Pflegeausbildung.
- Refinanzierung der Praxisanleitung in den Praxiseinrichtungen.
- Aufbau eines Förderprogramms zum Auf- und Ausbau von Pflegestudiengängen/pflegewissenschaftlichen Lehrstühlen neben Hochschulen und weiterer Universitätsstandorte der Pflegewissenschaft auch an allen Universitätsmedizin- und Pflegestandorten/Universitätskliniken in Deutschland.
Berlin, den 21.03.2022