Stellungnahme zum Referentenentwurf Pflegepersonalbemessungsverordnung (PPBV)

- Stellungnahme
Der VPU e.V. äußert massive Zweifel an der Umsetzbarkeit der PPBV mit PPR 2.0. Die geplanten Maßnahmen basieren auf unzureichender Datenlage und überfordern Kliniken technisch wie personell. Fehlendes pflegefachliches Feedback und unrealistische Zeitpläne gefährden Qualität und Versorgungssicherheit. Der VPU fordert Nachbesserungen zur Sicherung der Patientenversorgung.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. (VPU) ist nach wie vor überaus skeptisch, ob sich mit der Pflegepersonalbemessungsverordnung (PPBV), die als Referentenentwurf mit dem Stand 26.10.2023 vorliegt, die im Entwurf angegebenen Ziele:

  • Steigerung der Qualität der Patientenversorgung
  • Verbesserung der Arbeitssituation der Pflegekräfte in den Krankenhäusern und
  • Sicherstellung einer angemessenen Personalausstattung in der Pflege im Krankenhaus

erreichen lassen. Soweit wir sehen, leistet die im Entwurf beschriebene Einführung der PPR 2.0 als verbindliches Personalbemessungsinstrument im Krankenhaus keine Beiträge zur Erreichung dieser Ziele. Die PPR 2.0 erfüllt nicht die pflegewissenschaftlichen Anforderungen an ein Pflegepersonalbemessungsinstrument auf der Basis empirischer Daten zu den pflegerischen Versorgungsbedarfen betroffener Patientengruppen. Sie ist ein leistungsbezogenes Pflegepersonalbemessungsinstrument, das u.a. geleistete pflegerische Interventionen in Minutenwerten abbildet, die sich bisher durch keine empirische Datenbasis valide begründen lassen.

Unbeachtet dieser Bewertung nehmen wir im Folgenden zu den im Referentenentwurf getroffenen Regelungen Stellung. Dabei betonen und begründen wir ausdrücklich, dass die vorgesehene Zeitschiene zur Einführung der PPR 2.0 für die Universitätskliniken und die Medizinischen Hochschulen nicht umsetzbar und unrealistisch ist.

Weiterhin sind wir irritiert, dass pflegefachliche Rückmeldungen aus den Erprobungsphasen keinen Eingang in die Regelungen des Referentenentwurfs gefunden haben. Beispielhaft können hier die Anlage 1 zu § 12, die Anlagen 4 und 5 zu § 13 sowie die Anlage 6 zu § 17 genannt werden.

Die im Referentenentwurf unter E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft dargestellten Aufwendungen der Krankenhäuser werden aus unserer Sicht als unzutreffend niedrig ausgewiesen. Dadurch werden die tatsächlichen wirtschaftlichen Aufwendungen der Krankenhäuser erheblich unterschätzt.

Die oben benannten Sachverhalte werden im Folgenden ausführlich begründet.

Einführung der PPR 2.0 zum 01.01.2024
Die Im Referentenentwurf vorgesehene Zeitschiene zur Einführung der PPR 2.0 ist für die Universitätskliniken und die Medizinischen Hochschulen aus verschiedenen Gründen nicht umsetzbar und unrealistisch.

Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser und Auswertungswerkzeuge
Der derzeitige Digitalisierungsgrad der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen ermöglicht aktuell keine zeitnahe Erfassung der drei unterschiedlichen PPR (Normalstation Erwachsene, Normalstation Kinder, Kinderintensiv) sowie deren umfassende Datenauswertung gemäß den Vorgaben des Referentenentwurfs PPBV. Hier ist insbesondere die digitale Abbildung der u.a. pflegerischen Interventionen im KIS zu nennen.

Die Beschaffungen von Hard- und Software im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) erfordern Ausschreibungsverfahren, die zeitintensiv sind.

Nach Aussagen der Hersteller von Softwareprogrammen verschiedener Krankenhausinformationssysteme (KIS) und Dienstplanprogramme, warten diese derzeit auf detaillierte gesetzliche Vorgaben, auf deren Basis die Programmierung der PPR 2.0, PPR 2.0 Kinder und PPR 2.0 Intensivstation Kinder entwickelt werden können. Diese Entwicklung der Software-Tools benötigt lt. Herstellerangaben eine längere Anpassungsphase bis zur Marktreife.

Die Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen können aktuell nicht auf fertige Werkzeuge für die Auswertungen der Daten gemäß Referentenentwurf zugreifen. Ob diese in 2024 auf dem Markt verfügbar sein werden, ist ungewiss.

Die Alternative, analog der Pilotphase 04.05. – 31.07.2023, die geforderten Daten per Hand mit einem hohen Pflegepersonalaufwand auf Papier zu erheben, manuell in ein digitales Auswertungstool zu geben und auszuwerten, bis die erforderliche Software auf dem Gesundheitsmarkt verfügbar ist, führt zu einer weiteren Belastung der Pflegefachpersonen im Praxisfeld und dem Pflegepersonalcontrolling.

Pflegefachpersonen werden vorrangig in der Patientenversorgung benötigt, damit die pflegerische Patientenversorgung sichergestellt werden kann.

Personale Voraussetzungen für die Implementierung
Die Ermittlung der Soll-Personalbesetzung auf Normalstationen für Erwachsene gemäß § 3 und § 4 in Krankenhäusern basiert auf der Einstufung der Patientinnen und Patienten in die Pflegekategorien durch das Pflegepersonal der Stationen und ist voraussetzungsvoll. Die Voraussetzung für die Schulungen der Pflegenden bedingt eine abschließende Definition des Systems der Leistungsstufen und Patientengruppen sowie der Zuordnungsregeln.

Vor dem Start der Einstufung der Patientinnen und Patienten auf den Stationen müssen die Pflegefachpersonen mindestens in den folgenden Bereichen geschult werden:

  • System der Leistungsstufen und Patientengruppen
  • Zuordnungsregeln sowie
  • Anzuwendende Verfahren und Instrumente des Krankenhauses

Für die Konzeption, Planung und Realisation dieser Schulungen muss ab dem Inkrafttreten der PPBV an einem Universitätsklinikum mit einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten gerechnet werden.

Für die initialen Schulungen vor der ersten Einstufung sind im Erwachsenenbereich 90 Minuten pro Person und im Bereich der Kinderstationen 150 Minuten pro Person zu berechnen.

Dieser erhebliche Schulungsaufwand, der für ein Universitätsklinikum mit 2.000 Schulungsstunden beziffert werden kann (Beispiel Düsseldorf), muss während der pflegerischen Patientenversorgung auf den Stationen und der Kinderintensivstation zusätzlich geleistet werden.

Er stellt eine erhebliche Belastung dar, die sich nur durch gute Organisation und einen angemessenen Schulungszeitraum mit den Belangen der Patientenversorgung vereinbaren lässt. Dabei ist es unerheblich, ob Schulungen in Präsenz, digital mittels eLearning-Tools oder kombiniert angeboten werden.

Während der Implementierungsphase der jeweiligen PPR 2.0 ist eine fachliche Begleitung durch Mentoren auf der Station zur Unterstützung der Pflegefachpersonen erforderlich. Die Begleitung der Stationsteams muss in regelmäßigen Intervallen wiederholt werden sowie die Evaluation der Datenqualität. Daraus entsteht zusätzlicher Bedarf an Pflegefachpersonen.

Methodische Unklarheiten im Referentenentwurf
Im Referentenentwurf der PPBV werden in § 2 die Pflegefachkräfte, Pflegehilfskräfte und Kinderpflegefachkräfte definiert sowie im

* § 5 Ermittlung der Ist-Personalbesetzung Abs. 4 die 10 % Anrechnung von Pflegehilfskräften und Hebammen (Gynäkologie und Geburtshilfe) im Bereich der Krankenpflege auf die Pflegefachkräfte
sowie
* im Bereich der Krankenpflege für Kinder die 5 % Anrechnung von Pflegehilfskräften auf die Kinderpflegefachkräfte und in Krankenhäusern, die eine Ausbildung zur Kinderpflegefachkraft etabliert haben eine 10 % Anrechnung der Auszubildenden (= hier analog Pflegehilfskräfte) zur Kinderpflegefachkraft.

In der Anlage 7 „Format für die Datenübermittlung an das InEK“ werden u.a. jedoch nur Pflegefachkräfte gem. § 3 der PPBV und Kinderpflegefachkräfte gem. § 4 PPBV abgebildet.

Somit finden die Pflegehilfskräfte in dem aktuellen Format der Datenübermittlung PPBV, analog der Datenübermittlung i.R. der PpUGV, keine Berücksichtigung.

Die Brandbreite für die einmalige Einschätzung der PPR 2.0 auf Normalstationen zwischen 15 und 21 Uhr sowie die freie Wahl der Uhrzeit der Einschätzung im Bereich der Pädiatrie je Krankenhaus werden keine vergleichbaren Daten generieren.

Mangelnde Berücksichtigung des pflegefachlichen Feedbacks im Referentenentwurf
Die Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen, die an den Erprobungen der Instrumente teilnahmen, stellen irritiert fest, dass pflegefachliches Feedback aus dieser Teilnahme augenscheinlich keinen Eingang in den Referentenentwurf gefunden hat. Zum Beispiel:

  • In der Verordnung wird an einigen Stellen eine unkonkrete Fachterminologie verwendet. Beispiel: „einfacher oder häufiger Positionswechsel“.
  • Beispiel A4 (ergänzend zum Barthel oder alternativen Messinstrumenten müssen nun noch zwei weitere Leistungen aus unterschiedlichen Kategorien nachgewiesen werden und nicht die A3 + Barthel). In der Ausgestaltung des Referentenentwurfs ist die Hürde für A4 derart unrealistisch hoch, dass nur ein kleiner Kreis an Patienten davon beschrieben werden wird.
  • § 12 beschreibt „… Isolationspflicht bei Patienten mit einer übertragbaren Erkrankung oder mit Verdacht auf eine solche Erkrankung …“. Das Leistungsprofil auf Seite 30 referenziert nur auf die OPS-Codes für die entsprechenden Komplexbehandlungen (8-987, 8-98g). Eine protektive Isolierung findet keine Berücksichtigung als Pflegeaufwand, obwohl diese Art der Isolierung insbesondere in Maximalkrankenhäusern täglich auf verschiedenen Stationen z.B. Onkologie, Organtransplantation und bei immunabwehrgeschwächten Patienten Anwendung findet.
  • Die Erläuterungen zur Anlage 1 (Handout zur Einstufung) lesen sich als Kopie des PKMS und stellen keine sinnvolle Weiterentwicklung, sondern einen eklatanten Rückschritt dar. Diese sind insbesondere nicht nachvollziehbar, als sie in der Erprobungsphase NICHT so zur Anwendung gekommen sind.
  • § 12 Absatz 3: Am Entlassungstag wird nur die Hälfte der Minuten vom Fallwert des Vortages berücksichtigt. Diese Vorgabe ist bekannt – aber nach wie vor zu kritisieren: die Stufung des Vortages zu verwenden ist nicht prozesslogisch und nur mit einer gut unterstützenden KIS-Lösung einfach handhabbar.

Erfüllungsaufwand
Die im Referentenentwurf unter E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft dargestellten Aufwendungen der Krankenhäuser werden aus unserer Sicht als unzutreffend niedrig ausgewiesen. Dadurch werden die tatsächlichen wirtschaftlichen Aufwendungen der Krankenhäuser erheblich unterschätzt.

Zitat „Untersuchung hat ergeben, dass im Erwachsenenbereich mehr als ein Drittel der teilnehmenden Stationen ca. 20 bis 40 Minuten pro Person benötigt, um das Pflegepersonalbemessungsinstrument einzuführen und bekannt zu machen. Die Einstufung der Patientinnen und Patienten in die jeweilige Leistungsstufe (A/S-Kategorien) mehrheitlich1 bis 5 Minuten pro Patient benötigt.“

Die o.g. Aussagen zeigen, dass es bei zwei Drittel anders war. Im kollegialen Austausch mit Vertretern der Häuser aus der o.g. Pilotphase wurde sehr deutlich, dass der Aufwand für die Einstufung der Patienten für Pflegefachpersonen abhängig von der Berufserfahrung der Pflegefachpersonen (Erfahrung mit PPR in den Jahren 1993 bis 1993) sowie dem Digitalisierungsgrad der Pflegedokumentation war.

Im Erfüllungsaufwand wird die personalintensive Begleitung der Pflegefachpersonen (Erwachsene/Kinder) auf den Stationen durch Mentoren während der Einführungsphase sowie im weiteren Verlauf nicht dargestellt.

Die Kosten für die Softwarelösungen i.R. der PPR 2.0 sind im Erfüllungsaufwand nicht berücksichtigt.

Die Schätzung, dass der einmalige Aufwand für die Anpassung von digitalen Prozessabläufen pro Krankenhaus sich auf circa fünf Stunden pro Haus beläuft und als laufender Aufwand einmal im Quartal pro Krankenhaus ca. 1,16 Stunden angesehen werden, halten wir für unrealistisch.

Der Aufwand im Rahmen der Jahresmeldung der PPR 2.0 (Erwachsene, Kinder und Kinderintensivstationen) inkl. eines Testats durch einen Wirtschaftsprüfer bis zum 30.06. des Folgejahres wird nicht aufgeführt. Aus Erfahrung dieser Meldungen im Rahmen der PpUGV sind neben den Kosten für den Wirtschaftsprüfer ebenfalls Personalkosten auf der Seite der Krankenhäuser zu berücksichtigen, die mit mindestens 38,5 Stunden Personalkosten berücksichtigt werden müssen.

Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Kfm. Torsten Rantzsch, MBA
Vorstandsvorsitzender VPU e.V.